Der Preis der Selbstentfremdung
- ulrikecarstens
- 9. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Mai
Unser Körper erzählt Geschichten. Er speichert Erfahrungen, Gefühle, Spannungen, Schutzmechanismen. Und doch ist es oft genau dieser Körper, zu dem wir den Kontakt verlieren – vor allem, wenn wir beginnen, uns hauptsächlich von außen zu betrachten.
Vom Spüren zum Inszenieren
In unserer Kultur ist der Körper häufig ein Objekt – etwas, das bewertet wird. Schlank oder kurvig, sportlich oder weich, „richtig“ oder „nicht gut genug“. In dieser Bewertung verlieren wir das, was den Körper eigentlich ausmacht: seine Lebendigkeit, seine Weisheit, sein Spüren.
Viele Menschen haben gelernt, sich über ihren Körper zu definieren. Nicht im Sinne eines inneren Spürens, sondern über das, was andere sehen (sollen). Der Körper wird zur Inszenierung – eine Bühne für das, was wir zeigen wollen (oder sollen), und gleichzeitig eine Vermeidungsstrategie für das, was wir lieber nicht fühlen möchten.
Der Preis der Selbstentfremdung
Wenn wir unseren Körper hauptsächlich als „Bild“ erleben, entsteht eine Entfremdung. Wir beginnen, gegen ihn zu arbeiten – statt mit ihm. Wir übergehen Müdigkeit, Hunger, Schmerz, Intuition. Und oft ist es genau dieser übergangene Körper, der irgendwann reagiert – mit Anspannung, Erschöpfung, psychosomatischen Symptomen.
In der Körperpsychotherapie sprechen wir davon, wieder „im eigenen Körper zu Hause zu sein“. Das bedeutet nicht, dass alles leicht oder angenehm ist – aber es bedeutet, dass wir in Beziehung mit uns selbst treten.
Der Körper als Zugang zu uns selbst
In der therapeutischen Arbeit laden wir den Körper ein, wieder eine Stimme zu bekommen. Manchmal beginnt das ganz sanft – durch Atmung, durch bewusstes Spüren, durch Berührung. Der Körper zeigt uns, wo etwas festgehalten wird. Und oft zeigt er uns auch, wo ein tiefes Bedürfnis nach Verbindung, Berührung oder Ruhe liegt.
Es ist berührend zu sehen, was geschieht, wenn Menschen beginnen, sich selbst wieder zu spüren – jenseits von Erwartungen, Bewertungen oder Zielen.
Zurück in Beziehung
Wenn wir aufhören, unseren Körper als etwas zu sehen, das wir beherrschen oder verbessern müssen, entsteht etwas Neues: Beziehung. Und diese Beziehung ist der erste Schritt zur Heilung.
Denn der Körper ist kein Projekt.Er ist ein Zuhause.
Und manchmal beginnt Rückkehr damit, still zu werden und zu lauschen.
Titelbild von Aleah Chapin
Comments